Byung-Chul Han beginnt seinen Beitrag „Krise der Freiheit (Ausbeutung der Freiheit)“ in „denk mal 2016“* mit folgendem Satz:
„Die Freiheit wird eine Episode gewesen sein.“
Die heutige Freiheit ist grenzenlos. Aber ist es wirklich Freiheit? Sind wir frei? Ein kurzer Abriss von Byung-Chul Hans „Krise der Freiheit“ mit einem anschließenden Kommentar.
Krise der Freiheit
Freiheit entsteht im Übergang von Zwang in einen neuen Zwang. So sind wir heute, oder glauben, kein „unterworfenes Subjekt“ mehr zu sein, sondern ein sich fortentwickelndes Wesen, also ein sich ständig wandelndes Projekt. Dieses Projekt unterwirft sich aber neuerlich zahlreichen Zwängen, die nun nicht mehr äußerlich, sondern von innerer Natur sind.
Diese neue Freiheit erzeugt allerdings Zwänge, die beispielsweise zu Krankheiten wie Burn-Out oder einer Depression führen. Durch den Glauben an die Freiheit bemerken wir nicht, dass wir uns freiwillig selbst ausbeuten.
Im heutigen Wirtschaftssystem sind wir unfähig, speziell als Unternehmer, Beziehungen „frei vom Zweck“ zu schließen. Freiheit bedeutet aber „bei Freunden sein“.
Es wird sich also im Wirtschaftsleben die Freiheit selbst zunutze gemacht, die wir als höchstes Gut ansehen, die auch nicht gegen unseren Willen entsteht und somit angenommen wird.
Im Endeffekt ist unsere gelebte Freiheit ein Exzess des Kapitals, denn mit der Konkurrenz und dem Handel vermehrt sich das Kapital, das aber in dem Moment nichts mit der Freiheit zu tun hat, sondern selbstständig wirkt.
Sind wir frei?
Sind wir also wirklich so frei? Genießen wir unsere Freiheit?
Widmen wir uns den ersten Absatz. Gibt es einen Wandel vom äußeren Zwang zum inneren Zwang? Mit dem Blick auf die Entwicklung des Wirtschaftssystems ist eine Tendenz zum inneren Zwang erkennbar, die nicht gänzlich vom äußeren Einfluss bleibt. Noch immer sind wir teilweise von der Fremdbestimmtheit geprägt, auch wenn wir selbst das Ruder in der Hand haben, denn niemand zwingt uns Arbeiten zu gehen. Wenn wir es aber unterlassen, könnten wir in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Innere Zwänge z.B. in Form von Leistungsoptimierung auch ein Zwang, den wir uns selbst auferlegen. Dadurch können psychische Krankheiten hervorgerufen werden, die unsere wahrgenommene individuelle Freiheit konterkarieren. Die Statistiken zur Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Krankheiten unterstützen diese These.
Unsere Freiheit im Wirtschaftsleben ist eingeschränkt, wenn der Begriff auf die eigentliche Bedeutung beschränkt wird, welcher soviel wie „bei Freunden sein“ heißt. Denn Freundschaften sind heute nicht mehr „frei vom Zweck“.
„Freiheit“ hat aber auch noch eine andere Bedeutung: frī-halsa = „jemand, dem sein Hals selbst gehört“. Geht man von dieser Ursprünglichkeit aus, ist nichts Verwerfliches an der Zweckgebundenheit zu erkennen. Denn jeder der auf sich selbst acht gibt, wird nützliche Kontakte knöpfen und pflegen. Es ist daher in diesem Sinne mit dem Begriff der Freiheit vereinbar.
Das wir ein Knecht des Kapitals sind, ist nicht unwahr. Es hat als eigenständiges solches auch nichts mit unserer individuellen Freiheit zu tun. Es beutet uns also innerhalb der freien Konkurrenz auf Kosten unserer Freiheit aus. Das Kaptial selbst wird frei, wir nicht.
Dieser Gedanke ist sehr abstrakt und im ersten Moment würde man dem wahrscheinlich widersprechen. Unser Kapital hat etwas mit meiner individuelle Freiheit zu tun! Ja, aber nur als Material. Wenn wir uns das Kapital als eigenes Subjekt denken, raubt es uns Freiheit.
Was ist die Erkenntnis daraus?
Freiheit wird durch uns selbst gesteuert und wird immer wieder durch neue Zwänge beschränkt, sei es durch äußere oder innere. Wir können uns diesen Zwängen aussetzen – oder auch nicht. Jetzt stellt sich die Frage, was passiert, wenn wir uns den Zwängen nicht aussetzen. Geht man von den inneren Zwängen der Leistungsoptimierung aus, würden wir dann so sein wie wir wirklich sind? Würden wir unsere Freiheit deutlicher spüren? Würden wir im Wirtschaftsleben bestehen?
Die erste Frage geht meiner Meinung nach über diese Bestandsaufnahme hinaus und ist nur schwer zu beantworten. Zweitere lässt sich wahrscheinlich schon eher mit “ja” beantworten, da wir unsere Freiheit durch innere Zwänge abgeben. Im Wirtschaftsleben ist die Abstinenz von Zwängen nicht vorteilhaft. Will man mit den Mitbewerbern mithalten, ist der innere Zwang und die damit verbundene Freiheitsaufgabe nachvollziehbar.
Allgemein stellt sich aber die Frage, ob es wirklich ein innerer Zwang ist, sich selbst zu optimieren oder mitzuhalten. Ich sehe es nicht so. Es ist ja genau meine Freiheit mir diese Zwänge aufzuerlegen, die dann für mich selbst keine Zwänge mehr sind. Es kommt also auf die eigene Präferenz, auf die eigenen Vorlieben an.
Wie denkt ihr über die beschriebene Freiheit und die aufgeworfenen Fragen?